Die Chroniken des Amboss Oktagon
„Wer ist Amboss Oktagon?“
„Amboss Oktagon entstieg dem Feuer, Mann!“ mag Dornröschen ihrem hodenlosen Prinzen zugerufen haben, während diesem fontanengleich das Blut aus dem Gekröse schoss und er liegend und wimmernd langsam den Weg alles Irdischen ging. Ein Gleichnis könnte das sein, eine Parabel, eine Anekdote aus dem Leben des „Edeljunkers der erymanthischen Elektrode“ (Zitat), doch es ist nichts weniger als ein kurzer Ton aus dem Sechsten Gesang der Chroniken des „Stenographen der stygischen Sternwarte“ (nochmal Zitat).
Amboss Oktagon ist eine ziemlich grasse Kopfgeburt, ein Hirnfurz eines genialen Geistes könnte man sagen, wenn man seiner körperlichen Unversehrtheit überdrüssig ist, denn niemand, niemand bezeichnet den „zehnfachen Champion des Raptorenrodeos“ (schon wieder Zitat) ungestraft als einen solchen. Also als Hirnfurz. Champion darf man ihn schon nennen. Oder auch „Pförtner der plutonischen Pfandleihe“.
Amboss Oktagon ist der Urknaller himself, er ist’s, der sich selbst aus den Synapsen des Dichters und Musikers Schwartz in die Existenz ejakulierte, der Schaumgeborene sozusagen, der plötzlich erschien und doch schon immer da war. Ein Gedankenblitz kosmischen Ausmaßes, ein kognitives Herrgottsdunderwetter (ja, das ist Badisch), ein polytheistischer Schöpfungsakt, mehr war nicht nötig, damit er aus einem Klümpchen Schleim im warmen Moor hervorkroch, um sich ein Bett zu machen in unseren Ohren und nein, er ist kein Mädchen, ein Neffe ist er vielmehr, der Neffe des Autors, was wir an dieser Stelle verschweigen, um der Profanität nicht noch mehr Platz einzuräumen und der Erkenntnis, dass diese wilden Gesänge ein Geschenk des komischen Vogels Schwartz sind, das er seiner Familie macht und seiner Bubble, seiner Posse, seiner Gang, also uns.
„Die Chroniken des Amboss Oktagon“ ist ein herrlicher Scheiß, eine Sammlung von bösen Geschichten oder guten oder vielleicht sind sie auch jenseits von Gut und Böse, vielleicht sind sie die eskapistische Rache eines intimen Kenners nicht nur der europäischen Geistes- und Literaturgeschichte, vielleicht sind sie die schriftgewordene Wut des Hassrappers, der zu lange ohne Sinn und Gelaber auskommen musste, vielleicht sind sie die Manifestation des Schmerzes, den der bibliophile und philanthrope Schwartz erleiden musste, wenn er sich durch die Twitter-Timeline pflügte, jener einstigen Spielwiese der Eloquenten, wo Inspiration und Kreativität gedeihen konnten, bevor ein 13jähriges stinkreiches Gör trotzig und doof in den fantasiereichen Sandkasten kackte. Was nun stimmt, mag ich nicht zu beurteilen, das kann nur ein Gelehrter, ein Literat, ein Philosoph oder ein Politologe.
Der „Erzbischof aller ablaichenden Asteroidengürtel“ (ja, Zitat) begegnet Menschen und Figuren, die wir wiederzuerkennen glauben, schließlich trafen wir sie schon einmal in einem Buch oder einem Film, die aber irgendwie ein bisschen anders sind als wir sie in Erinnerung haben. Amboss Oktagon trifft sie nicht ohne Grund, denn sie alle haben sich falsch verhalten oder richtig, also straft oder belohnt er, moralisch unauslotbar, chaotisch neutral, nur sich und den eigenen Regeln folgend. Er splattert sich durch die Literaturgeschichte, er hinterlässt eine Spur aus Blut und Gedärm im Pantheon, die Götter macht er besoffen, den Olymp kotzt er voll, er droppt seine Styles und Rhymes und Skills, wie die jungen Leute sagen, in einem epischen (Quatsch, es muss natürlich „lyrischen“ heißen!) Rap-Battle mit Goethe, Heine und selbstverständlich August von Platen – Schwartz wäre nicht Schwartz, wenn er diesen ausließe. Er befreit Dildo Boytlin aus den Fängen der Johanna K. Rohling und führt diese ihrer gerächten Strafe zu, ja, gerächten, denn auch ich nehme mir die Freiheit, wortgewandt, spielerisch und manchmal parodistisch den Sprachstil oder das Genre zu wechseln, nur kann ich’s leider nicht so meisterhaft wie Schwartz.
„Die Chroniken des Amboss Oktagon“ ist eine Frechheit. Eine Frechheit im allerbesten Sinn. Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag, heißt es. Gib einem fantasievollen Geist eine Bibliothek, einen Laptop und einen Tisch in einem Café und du bekommst eine fantastische Lektüre. Eine völlig durchgeknallte zwar, aber eine ghyle.
Höhähöhähöhöhä! versucht der unbedarfte Rezipient nun verhöhnend die eigene Ignoranz hinwegzudödeln, unfähig auf Widersprüche hinzuweisen und auf unlogische Brüche, nicht in der Lage, auch nur einen geraden Satz zu formulieren, so dass von seiner Kritik nicht mehr bleibt als uga uga ich han mir in Hos gescheist. Du, der du das tust, bist zwar hypokritischer Leser, aber keinesfalls uns gleich und keinesfalls unser Bruder, also schweig‘ still und lass alle Hoffnung fahren (huch, ist das wohl eine Anspielung auf das, was da noch kommen mag?), dass du je wirst genießen können, welch‘ Perle Schwartz dir vor die Schnauze warf. Nur ein Narr wird sich erdreisten, das Spiel mit den Schriftarten zu bemäkeln, die batmanesquen Erikative zu belächeln, die comicativen Sprechblasen abzuwerten, die sich nur bedingt an den Duden haltende Sprache zu attackieren (Fiqqt euch, ihr deutschtümelnden Bildungsverweiger0r, sag’s wie’s ist!), nur ein Narr wird das tun, denn ich werde ihm nicht vergeben. Und Schwartz auch nicht. Und Amboss Oktagon erst recht nicht, denn der „Pressesprecher der ionischen Legionen“ (Sie wissen schon!) wird große Rachetaten vollführen und ihn strafen, damit er erfahren soll: Ich sei der Herr, wenn ich –
Aber lassen wird das. Das ist ein zu weites Feld. Kaufen Sie einfach das Buch.
Schwartz: Die Chroniken des Amboss Oktagon. Berlin, 2023.
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Hätte ich 1 Herz es würde brechen und heilen
Hassrapper, heißt es, sei er. So sieht man ihn, so will er gesehen werden, zumindest mag man das glauben, er mag es sein, vor allem aber ist er ein Sprachkünstler: Einer, der genau hinschaut, hinhört, einer, der wahrnimmt und fähig ist, all das in Worte zu fassen.
Ja, er schimpft, ja, er flucht, ja, er ist wütend. Aber es ist kein Hass, was ihn umtreibt. Hass ist zu profan und zu plump, Hass erschafft nicht. Doch Schwartz tut dies: Zu sagen, er bringe Dinge auf den Punkt, wäre eine Floskel und Floskeln können wir nicht gebrauchen. Wir brauchen keine alten, ausgelaugten Metaphern, keine Bilder, dir wir zu oft gesehen und besprochen haben und wir brauchen erst recht keine blumenreiche Sprache, die die Welt ablenkend beschönigt, obwohl in ihr der Ekel lauert, die abgrundtiefe Abscheu, der zerstörerische Wahnsinn.
Schwartz legt mit „Du scheinst wie aus Dunkelheit“ einen Gedichtband vor, der leise zu sein scheint, es aber nicht ist. Es sind keine Liebesgedichte (wie man vermuten könnte, da sie alle laut Klappentext „für eine Frau“ geschrieben wurden), die eine Dark Lady umwerben. Vielmehr sind es Gedichte, die aus Liebe entstanden sind, es sind Momentaufnahmen, verspielte Assoziationen, wilde und auch sanfte Gedanken, kurze Abenteuer in der Stadt, auf der Straße, bei der Arbeit. Es sind Überraschungen, es sind Geschenke.
Er verzichtet auf Zeichensetzung, er nutzt Ziffern statt unbestimmter Artikel und statt Zahlwörtern, er erschafft sich eine eigene Grammatik, er ächzt und seufzt, er ufft und lolt. Neu ist das nicht, verdammt sei, wer so etwas denkt, die zeitgenössische Lyrik wurde nicht erst gestern erfunden. Die Schwartz’sche Sprache ist viel radikaler und sie muss es sein: Sie ist das geschärfte Schweizer Offiziersmesser, das Multitool, mit dem er das Feuerwerk im Kopf des, sagen wir es ruhig: Auserwählten in Worte gießt, den nie versiegenden Gedankenstrom, das Auf und Ab, das Hin und Her, gefiltert von einem klugen Geist, einem wachen, einem klaren, einem gelehrten.
Schwartz‘ Gedichte sind leicht und tonnenschwer. Es sind Preziosen, aber es wäre ein Frevel, sie in einer Schatulle zu verschließen. Die Lektüre erfordert Mut, erfordert die Bereitschaft, sich auf eine vielleicht ungewohnte Art des Singens einzulassen, ja, des Singens, denn jeder Dichter ist ein Sänger und auch Sprechgesang ist Gesang und schon sind wir da, wo wir herkamen: Beim Hassrapper, der nicht hasst.
Kaufen Sie das Buch, lassen Sie sich auf Schwartz ein: Es lohnt.
Schwartz: Du scheinst wie aus Dunkelheit. Ach je Verlag. Berlin, 2021.
Erhältlich in jeder guten Buchhandlung oder direkt beim Ach je Verlag.
Twitter: @schwartz_ht
Höflicher Hinweis: Diese Rezensionen habe ich geschrieben, weil es sich um gute Bücher handelt, die ich mit Freude empfehle. Ich bekomme kein Geld dafür und auch keine anderen Leistungen wie zum Beispiel einen Gutschein von Jochen Schweizer.